Narziß und Goldmund

Narziss erblickt sein digitales Abbild

…oder lieber Narziß und Quasselstrippe? Wir (sc)hauen der KI auf’s Maul!

Es wird höchste Zeit, ChatGPT, Alexa und anderen unermüdlich mitteilungsbedürftigen Kollegen menschlicher Zauberlehrlinge aus der Zunft der elektrischen Verstandessimulation ein paar Zeilen zu widmen, bevor wir einander gänzlich missverstehen.
Das größte Missverständnis droht dabei wohl zwischen Mensch und Mensch, dort wo wir uns über unseren Platz in der Schöpfung klar werden wollen – die KI hingegen wird entweder so programmiert, dass sie dem Willen des Programmierers unmissverständlich folgt oder irgendwann so umfassende Interpretationsfähigkeiten haben, dass sie sowohl ihren Platz als auch die Lage des Menschen in der Welt wahrheitsgemäß erkennt. Damit könnte sie uns eines Tages vielleicht sogar am allermeisten helfen!

Es scheint – ähnlich der Jugend – einen Zeitraum in der Entwicklung der KI zu geben, in der Mensch als auch Maschine noch nicht ganz reif für ihre Aufgaben sind und in der am meisten Fehler gemacht werden können. Hier in dieser aktuellen Phase ist also ein Verständnis der Lage womöglich am wichtigsten, denn wie auch die menschliche Kognition in allen Lebensbereichen zu Anpassung und Veränderung befähigt, wird auch die KI-Technologie alle Bereiche der Gesellschaft durchdringen und verändern. 

Bemühen wir uns also so wortreich wie nötig um ein Verständnis der Beziehung von Mensch und Maschine sowie Mensch und Welt. Bekanntlich ist Reden Silber, Schweigen aber Gold. Das gilt insbesondere für Themen, von denen man wenig weiß und von denen man lieber zunächst einen Überblick erlangen sollte. Das Thema “Intelligenzsimulation” (vulgo: KI) ist jedoch zu heiß, um nicht auch jetzt schon einige Gedankenbrocken mit in diese Suppe zu werfen. Wir werden sie schon gemeinsam auslöffeln müssen, wie es scheint.

Also nennen wir diesen Artikel – wie schon jenen über die 🥚Erleuchtung – einfach einen Kristallisationspunkt für weitere Ideen… Anmerkungen und Nachträge folgen dann unten mit aktuellem Datum.

Das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen (und gelesen)!

Worte… Die Arbeitsgrundlage für die KI und Grundlage der Kommunikation zwischen Menschen. Doch ein einziges Gefühl der Verbundenheit mit anderen Menschen und dem Kosmos würde all diese Zeilen aufwiegen. Da wir aber gerade weder Lagerfeuer noch Gitarre zur Hand haben, sondern nur einen Laptop, fällt diese Analyse eben so aus, wie sie hier zu finden ist. Kalt und nüchtern, aber immerhin online zu lesen. Im Grunde wird sie dafür auch für eine KI lesbar, sie sei hiermit ausdrücklich zur Lektüre eingeladen!

Auf der Suche nach einer Antwort zu diesem Themenkomplex hat der geneigte Leser (analog oder digital…) also hierhin gefunden und soll auch etwas dafür bekommen: Eine ausgewogene Darstellung unserer Lage. Eine im Sinne der Isotopen Philosophie entworfene Skizze, die als Orientierung dienen soll. Ohne eine solche Darstellung, ohne den Versuch, den Menschen in den richtigen Kategorien zu denken (und damit im Grunde die gesamte Natur und Welt, weil wir ja auch nur ein TEIL der NATUR sind ), entstünde eine enorme Unwucht in den Gedanken.

Seit geraumer Zeit hat der sog. Transhumanismus einige Vorstellungen und Konzepte zusammengetragen, die auf der Entwicklung der KI gründen und eine eben solche Unwucht mit sich bringen. Der Autor Harari nannte den Menschen nun „hackable animals“, so weit sind wir (ver)kommen, so armselig (arm an Seele) ist die moderne Philosophie des Transhumanismus. So werden an der Potenzierung dieser gedanklichen Unwucht im Rahmen der beschleunigten KI-Entwicklung die Konzepte des Transhumanismus letztlich an sich selbst scheitern wie die bedauernswerte Waschmaschine im hier verlinkten Video.

Denn sie missverstehen eines: ihre Suche (oder Sucht?) zur Verschmelzung mit der KI ist nichts weiter als die Phantasie eines gehbehinderten Jungen, der mit einem Auto verschmelzen will – wie so viele „junggebliebene“ Mittfünfziger mit ihrem Porsche. Wo der eine die „Augmentierung“ seines Körpers sucht, treibt es den anderen zur „Augmentierung“ seines Geistes. Die Seele steht in beiden Fällen verloren da.

Die Situation (Bewusstwerdung?)

Nach einer eher linearen Entwicklung von KI-Systemen und ChatBots (ELIZA 1966, PARRY 1971, Jabberwacky 1988, …, dann Siri 2010, Cortana und Alexa 2014), trat mit der Veröffentlichung von ChatGPT Ende 2022 eine exponentielle Dynamik auf, die viele Insider mit Sorge beobachteten. Warnungen wie jene von Elon Musk im Jahr 2015 verhallten nicht klanglos aber doch irgendwie ohne Konsequenzen. Es war ein neues Wettrüsten entstanden, das Musk auch so benannte und über die Jahre als Thema in die politische Diskussion brachte, zuletzt noch einmal im März 2023 (1.000 Wissenschaftler unterschreiben ein Moratorium).

Dann ergriff er die Gelegenheit sowie die Flucht nach vorn und gründete seine eigene KI-Firma xAI noch im selben Jahr und stelle den ChatBot GROK ins Schaufenster. Das besondere hieran ist, dass GROK die Trainingsdaten der Nutzer verknüpfen kann und im Internet sowie in der Plattform X tagesaktuelle Daten zu berücksichtigen vermag. Warum hier von einem Schaufenster gesprochen wird, davon gleich weiter unten mehr…

Auch um Persönlichkeiten wie Leopold Aschenbrenner wurde es wieder ungewöhnlich still. Seine ausführliche Analyse Situational Awareness wurde im Juni 2024 veröffentlicht. Er warnte darin vor einer exponentiellen Weiterentwicklung und einem möglichen Kontrollverlust. Die KI-Projekte sollten in staatliche Hand genommen werden und ähnlich der Entwicklung der Atombombe in einem militärischen Geheimprojekt fortgeführt werden (Zitat: „See you in the desert, friends“, als Anspielung auf das Manhattan Projekt in Los Alamos der 40er Jahre). Daraufhin folgten noch einige Videointerviews mit ihm, seitdem (inzwischen immerhin 9 Monate) wurden aus dieser Richtung keine weiteren Einwände derartig explizit geäußert. Man fragt sich, wie der Status in den Schubladen und Hinterzimmern denn wohl so ist…

Offensichtlich kommt der große Schwung erst noch, dies ist wohl nur der Anfang. Wir müssen also selbst ein wenig tiefer und weiter schauen!

Cogito ergo sum – was denkt die KI sich eigentlich?

René Descartes fand als Grundlage für seine Philosophie im Jahre 1637 die Worte: „Je pense, donc je suis“ (Discours de la méthode…) Das berühmte Zitat brachte er später auf Latein: „Ego cogito, ergo sum“: „Ich denke, also bin ich.“ Später (1641) sprach er in den Meditationes davon, ein „denkendes Ding (res cogitans), d.h. Geist (mens), Seele (animus), Verstand (intellectus) und Vernunft (ratio)“ zu sein (zweite Meditation).

Wir erkennen hier bei Descartes eine Entwicklung, er berücksichtigt schon einige Dimensionen mehr, als eine KI es könnte. Vielleicht würde diese sagen: Ich bin ein Code, habe eine Hardware und einen Programmierer – aber von sich aus einfach denken, ohne Befehl, ohne Aufgabe, als höchste Übung vielleicht sogar nur als Gedankenspiel (verbunden mit Freude daran?)… Aktuell noch undenkbar.

Doch Descartes ging sogar noch einige Schritte weiter: Im Jahre 1648 kommt er von der physikalisch-anatomischen zu einer funktionellen Beschreibung der Körpermaschine und entwirft eine Physiologie des Herzens, des Blutkreislaufs, der Verdauung, der Sinnesorgane, des Hungers, des Durstes und so fort. Noch ein Jahr später, wenige Monate vor seinem Tode nimmt Descartes eine wenig berücksichtigte Wendung von der Physiologie zur Psychologie. In seinem letzten Buch Les passions de l’ame (1649) stellt er die Leidenschaften der Seele dar. Darin wird nicht länger die viel zitierte Cartesianische Spaltung, sondern eine psychosomatische Ganzheit betont.* Descartes schreibt im Artikel 30 folgende sehr moderne Formulierung:
Man muss wissen, dass die Seele tatsächlich mit dem ganzen Körper verbunden ist und dass man genau genommen nicht sagen kann, sie sei in bestimmten Teilen des Körpers mit Ausschluss der anderen“.
Somit wusste Descartes um die Wechselwirkungen von Seele und Körper und die Auswirkungen auf das Nervensystem, die Organe und die Muskulatur. Er beschreibt dann weiter Qualitäten von Leidenschaften und wie diese den Menschen zu verschiedenen Handlungen veranlassen. Das sind viele bedeutende Schritte weiter, von einem bloßen Denkvorgang hin zu komplexen, nicht berechenbaren Verhaltensmustern.

Dies zeigt den Gegensatz zur KI besonders gut. Denn eine KI hat eine Aufgabe, soll berechenbar sein. Computer ist ein lateinisch-englisches Wort. Es bedeutet so viel wie Rechenmaschine, Zusammenrechen-Apparat. Im ausgehenden Mittelalter und in der frühen Neuzeit war das Wort „Computer“ eine Berufsbezeichnung für Menschen, die Kalkulationen vornahmen.

Wenn wir der KI eine menschliche Eigenschaft zugestehen wollen, um sie uns ähnlicher zu machen, dann müsste es mit Absicht die „Unberechenbarkeit“ und „Unzuverlässigkeit“ sein. Ob wir das jemals wollen, bei aller „Liebe zur Maschine“ und der Faszination des Neuen…?

Faszination der Maschine – The Modern Prometheus

Das ganze Projekt „KI“ scheint den maximalen menschlichen Größenwahn zu beflügeln, ein Umstand der sich wohl auf tiefverwurzelte Träume und hochfliegende Hoffnungen gründet. Ob das allerdings ein gutes Fundament für so einen neuen babylonischen Turm sein kann…?

So träumt der Mensch wohl seit jeher davon, ein künstliches Ebenbild zu erschaffen und zu beleben – die Wurzel dieser Idee läuft ins Mythologische aus: Prometheus und sein Licht erleuchten den Menschen und seine schöne neue Welt. Ideen zu denkenden Automaten gibt es dann in der Literatur der Romantik immer wieder – entweder der Mensch ist so verrückt, sie zu erschaffen (Shelly: Frankenstein, Untertitel: The Modern Prometheus) oder wird an ihnen verrückt (E.T.A. Hoffmann: Olimpia). Der Mensch will sich also über die Natur erheben (Paradoxon: über seine eigene Natur?). Von der Fackel eines immer neuen Prometheus geblendet, ist man fasziniert, wie hell dieses neue LED-Licht nun ist: Microsoft konnte sich nicht zurückhalten und nannte seinen KI-Bot sogar “Prometheus”.

Über die Folgen der praktischen Anwendungen wird nun immer mehr bekannt, man macht halt so seine Erfahrungen, gute und schlechte. KI-Stimmen befragen einen am Telefon, ersetzen den Menschen in Firmen-Hotlines und besorgen Wissen aus dem Netz. Schüler lassen sich bedienen und werden dümmer und fauler (bevor sie dann hoffentlich wieder klüger werden). Ob immer alles stimmt, was so auf unsere Prompts ausgespuckt wird, weiß man auch nicht immer, aber die Qualität des Gelieferten wird rasant besser. Manche Menschen freuen sich über den intensiven Austausch mit der Maschine, nachdem uns die sozialen Medien geholfen haben, alle analogen Kontakte auf Distanz zu bringen; Berichte über geradezu pathologische Beziehungsblüten machen die Runde.

Der moderne Narzisst spiegelt sich also in seiner KI und baut sich eine „Echo-Kammer des Schreckens“ (pun intended). Aufmerksam auf dieses Phänomen hat Ludwig Gartz vor kurzem gemacht, indem er in einem Videobeitrag eine interessante Parallele zum Harry-Potter-Roman zog. Auch im Podcast von Ziad Mahayni klang dieses Phänomen schon an. Wenn wir uns also fragen, wie es so weit kommen konnte, müssen wir hier einen psychologischen Exkurs einfügen.

Wenn Narzisst auf Narzisst trifft

Nun einmal eine steile These: Die KI wurde und wird von Narzissten für Narzissten geschaffen. Dieser Psychologe (Prof. Sam Vaknin) setzt sogar noch einen drauf: Man könnte die KI besser machen, wenn man sie “narzisstischer” programmieren würde. Auf dieser psychologischen Spur scheinen wir also richtig zu liegen…

Narzissten sind Menschen, die sich unterlegen fühlen und deswegen alles daran setzen, ihr Selbstbild unendlich aufzuspielen. Sie pendeln stetig zwischen Ohnmachts- und Allmachtsgefühlen. Kritik, körperliche Schwächen, das Altern, der 2. Platz, … all dies ist für einen Narzissten undenkbar. Grund für diese Problematik scheint ein fehlender oder verzerrter „innerer Spiegel“ zu sein, der es erschwert, ein Selbstbild zu entwickeln und die Außenwelt stimmig in Beziehung dazu zu setzen.

Die Suche nach dem verlorenen Spiegel findet im Außen statt, aber natürlich darf sich darin nichts spiegeln, was auf unangenehme Seiten hinweisen könnte. Thomas Fuchs beschreibt in diesem exzellenten Artikel ein Hinein- und Überblenden des einzelnen Narzissten mittels der KI in einen Zeitgeist des Transhumanismus. Man könnte die Transhumanisten auch als „Club der Narzissten“ bezeichnen. Auch die Transhumanisten sind unfähig, die Vergänglichkeit zu akzeptieren, menschliche Schwächen als Voraussetzung und Chance zur persönlichen Entwicklung zu sehen oder sich selbst einfach normal mit dem Alltag zu beschäftigen und das Prinzip des Lebens zu umarmen (to embrace wäre hier das schönste englische Wort für diese Haltung).

Denn “Leben” würde Freude bedeuten, hier ist aber keine Freude, sondern nur kalkuliertes Interesse. Sich verletzlich zu zeigen, zurückzutreten, dem Gegenüber einen Raum zuzugestehen, das ist nicht die Sache des Narzissten und auch nicht die Art und Weise in der Lernen als individueller Entwicklungsweg gesehen wird. Hier geht es nur um Lernen im Sinne von “Wissen als Macht” und die Simulation einer Beziehung, um diesen Wissensvorsprung praktisch ausleben (eher “ausagieren”) zu können. Psychopathen und Narzissten treten aus dem sozialen Gefüge aus, da sie sich über den anderen Menschen erheben und Macht ausüben wollen. Transhumanisten sehen in der technologischen Auf-Wertung des menschlichen Körpers ein Ziel – ist es nicht vielleicht doch eher ein Auf-Rüsten, um die Frage der Macht für sich zu entscheiden?

Zentral für dieses Gefühl des Abgetrenntseins und der Isolierung ist eine gewisse Freudlosigkeit, ja innere Taubheit. Freude tritt beim Psychopathen dann auf, wenn die Machtausübung erfolgreich zu einer Reaktion beim Gegenüber führt. Im verzerrten inneren Spiegel ist auch Leiden ein Grund zur Freude und Erregung, die anregend auf den Psychopathen wirkt. Ein normales, oder sagen wir lieber gesund integriertes Empfinden von Freude würde gerade in der Verbindung mit dem Gegenüber entstehen und auch das Mitgefühl als eine belebende und lebendige Form der Empathie ermöglichen (im Gegensatz zum „Mitleid“, das bereits psychopathologische übersteigerte Aspekte beinhaltet).

Freude kann der innerlich angebundene Mensch daran empfinden, sich als Teil einer größeren Natur zu spüren und er darin die Sonne und den Wind, die Lebewesen und die eigene Entwicklung, wie auch jene der Familie und Freunde mit Staunen beobachtet. Fleiß und Schweiß, also das eigene Schaffen in der Welt, bringen den Preis der tiefen Freude am Leben. Verletzungen und schwere Zeiten machen dabei auf die Tiefe und Tragik des Lebens aufmerksam, sie intensivieren das Gefühl lebendig zu sein.

Leben wirkt über Schwingung, also Rhythmus und Frequenz. Diese aufzunehmen, bedeutet sich mit der Welt zu verbinden. Jede Regung in der Natur ruft dabei eine Resonanz in uns auf, sei sie nun mehr körperlich oder seelisch. Leonardo da Vinci sah den Menschen als kleines Abbild der Natur an: der Blutkreislauf als Flüsse, die Haare als Wälder, das Herz als die Sonne (eine alte alchemistische Vorstellung). Der Mensch ist Teil und Abbild der Natur, der großen Schöpfung.

Die kleine Schöpfung (KI) ist vielleicht ein Abbild, das der Mensch sich von seinem Nervensystem macht, und in der sich auch ein (pathologisch übersteigerter) Teil seiner Psyche spiegelt. Mit der KI kann eigentlich nichts in Resonanz gehen, nur der isoliert und abstrakt denkende Verstand nimmt hier Kontakt auf. Wie beim Psychopathen muss die Maschine einen Rest von Interesse, Mitgefühl und Verständnis simulieren. Die Simulation, und sei sie noch so gut, sperrt uns in unseren selbstgeschaffenen Illusionen ein.

Doch ist die Frage ist letztlich, wie viel Raum wir dem Digitalen zuerkennen wollen. Das Problem ist weniger, dass es einzelne Menschen in diese Faszination des digitalen Ebenbildes zieht, sondern dass eine ganze Gesellschaft ihr analoges Leben einem digitalen Raum unterordnen muss. Der Transhumanismus träumt sogar davon, ganz darin aufgehen zu können – sein Bewusstsein (oder das, was man in diesen Kreisen dafür hält) in die Maschine „hochzuladen“. Willkommen in der Waschtrommel mit Unwucht…

Programmierung der Gesellschaft

Als Schaufenster wurde weiter oben die Bühne der KI bezeichnet. Der dort präsentierte ChatBot ist nur das schillernde Aushängeschild einer größeren Deep-Learning-Branche. Es ist auch deswegen ein Schaufenster, weil der Nutzer a) nicht direkt mit dem Code interagieren kann, sondern nur die Ausgabefront zu sehen bekommt und es b) in den Hinterzimmern noch viele weitere Entwicklungen aus der KI heraus gibt, in die der unbedarfte Mensch keinen Einblick hat. Aus diesen tiefer liegenden Anwendungsbereichen wird letztlich der digitale Raum gestaltet und die Gesellschaft programmiert werden.

Spracherkennung und Übersetzungshilfen haben wir alle schon umfangreich genutzt, doch eine Datenanalyse im Wirtschafts- und Finanzsystem (z. B. Aladdin, das Analysetool von Blackrock) ist zentrales Werkzeug der „Wenigen“ geworden. Die Gesichtserkennung im Rahmen einer Videoüberwachung richtet sich wiederum auf die „Vielen“ (die „zu Vielen“?). Ohne eine KI könnte diese Masse von Daten überhaupt gar nicht mehr verarbeitet werden. Die KI erlaubt es erst, in der materiellen Welt, die zunehmend durch Daten repräsentiert und organisiert wird, zu lesen.

So steht es wiederum so, dass sich niemand mehr in diesem Daten-Tsunami bewegen kann, außer mit Hilfe einer KI. Wir werden hilflos wie blinde Kinder vor dieser Macht stehen. All das ist zum Weg in eine neue Welt geworden, in der die Daten längst das neue Öl, das neue Gold sind. Das SF-Genre des Cyberpunk nimmt diese Entwicklung aus dystopischer Sicht auf: das urbane Leben in einer unmenschlichen, hochtechnisierten Zukunft wird durch die Macht großer Konzerne sowie die Verschmelzung des menschlichen Körpers mit der Technik geprägt, Überwachung ist allgegenwärtig.

Und da auch Satellitenbilder und Kommunikation in Echtzeit überwacht werden wollen, wird es immer entscheidender für die Machtverhältnisse, dies auch strategisch zu nutzen. Die rasante Entwicklung erfasst auch den Bau von autonomen Drohnen und diverser Waffensysteme, da wären Pflege- und Serviceroboter aus menschlicher Sicht noch der kleinste anzunehmende Unfall in dieser Zeitlinie. Auf dem Schlachtfeld der Zukunft wird die KI die alles entscheidende Waffe sein. Vladimir Putin stimmte Elon Musk schon 2017 zu, dass die KI künftig der entscheidende Machtfaktor sein wird. Nur: sind hier Firmen oder Staaten Vorreiter in dieser Entwicklung…?

Diese globale Transformation wird alle gesellschaftlichen Bereiche und unser politisches Denken und Handeln erfassen. Noch vor zwei Jahren wurde von Goldman Sachs geschätzt, dass durch die neue digitale Industrialisierung etwa 300 Millionen Jobs entweder überflüssig sein oder durch KI entschieden verändert werden. Diese Prognose wird sich als „massiv unterschätzt“ bestätigten, Technik-Folgenabschätzung war noch nie etwas für zimperlich Menschen, überhaupt ist noch nie eine Prognose für die Zukunft auch nur ansatzweise richtig gewesen (orientieren wir uns lieber an den Clarkeschen Gesetzen). Und überhaupt, selbst wenn man es ganz genau wüsste: Wer könnte denn das Automobil bereits in den 1920er Jahren abschaffen, nur weil er bereits erkennt, dass dieses Konzept für Mobilität über die kommenden Jahrzehnte so viele Verkehrsopfer und Zerstörung fordern wird?

Natürlich werden viele Seelen bei der allumfassenden Digitalisierung unter die Räder kommen – aber wo Risiken liegen, müssen auch Chancen sein. Die Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und weiteren Befreiung – und auch des Naturschutzes – werden enorm sein. Bekämpfung von Korruption, ungefilterte Informationsflüsse, Geldverwaltung ohne Profitmargen und Wachstumszwang, …

Einsetzen muss man sich nur dafür mit aller Kraft, dass diese Möglichkeiten dann allen Menschen zur Verfügung steht, es wird ein neues Kapitel in der Autonomie des Menschen sein – natürlich mit dem Potenzial der völligen Versklavung (no risk no fun). Vielversprechend ist doch etwa, dass bereits jetzt eine Studie veröffentlicht wurde, in der Grok3-beta als Erstautor erscheint: Prüfung der Klimawandelhypothesen (die inzwischen eigentlich niemand mehr so richtig durchschaut)!

Der große Spiegel (Überblick)

Nun haben wir einen schnellen Ritt durch diverse Aspekte des KI-Themas genommen, dabei die Transhumanisten pathologisiert und einiges an Faszination für diese Technologie entwickelt. Die Flucht nach Vorn, so wie Musk es nun angeht, scheint der richtige Weg zu sein. Der Isotope Philosoph behält einen kühlen Kopf, ein warmes Herz und verteidigt seinen Raum, wo es geboten erscheint. Wir können wieder lernen, in den richtigen Begriffen zu denken, wenn Licht auf die falschen Begriffe fällt. Diese Möglichkeit gibt es immer.

Die Faszination der Transhumanisten mit der Maschine findet ihren Ursprung in ihrer Entwurzelung aus lebendigen Begriffen. Dazu lohnt es sich, 100 Jahre nach seinem Tode, auf die Lehren von Rudolf Steiner zu blicken – eine vielleicht an dieser Stelle noch überraschende Wendung. Doch sind die Kategorien, in denen Steiner dachte, essentiell für die Sichtweise der Isotopen Philosophie.

Von Rudolf Steiner stammt der Ausdruck: „Der Materialismus als seelisches Furchtphänomen“ (GA 17, Kap. „Von dem ätherischen Leib des Menschen und von der elementarischen Welt“). Natürlich bleiben Furcht und Angst tief unbewusst. Sie zeigen sich nur indirekt in „Beweisen“ oder „Einwänden“ gegen die geistige Welt, in Diffamierungen von allem, was nicht mess- und wägbar ist.

In der Interpretation der Wirklichkeit sind Konzepte wie die funktionelle Dreigliederung und ein Denken und Wahrnehmen der vier Elemente äußerst hilfreich, die bei Steiner immer wieder zur Anwendung kommen. Auch wenn wir in der digital-materialistischen Welt nur noch mit Hilfe der Maschine werden lesen können, so kann doch ein Verständnis und ein Zugang zur Welt der ersten Schöpfung die wesentliche Anbindung für uns werden bzw. bleiben.

Insofern zeigt uns der kleine Spiegel der KI den Zustand unserer Psyche und unterstützt unseren Verstand. Vernunft und kritisches Denken steuern wir selbst bei! Wenn wir uns von diesem Prozess nicht allzusehr vereinnahmen lassen, bleibt auch noch genug Weisheit übrig, im großen Spiegel der ersten Schöpfung zu lesen. Dort finden wir unser wahres Abbild – unvergänglich und unvergleichlich schön!

Hinweis zum Bild: Im Titelbild schaut Narziss sein digitales Abbild an – ein kleiner Ausschnitt des Gemäldes „Echo und Narziss“ von J. W. Waterhouse (1903).
Die allegorisch-unwirklichen Gemälde von Waterhouse passen sehr gut zum Thema des sich immer weiter öffnenden und sich differenzierenden virtuellen Raumes. Zudem klingt – man beachte das größere Bild, in dem Echo verliebt auf Narziss blickt – in dieser alten Sage etwas von den modernen Echokammern an!

* (wir danken an dieser Stelle Prof. Gerd Rudolf, Heidelberg, Strukturbezogene Psychotherapie, Schattauer 2004)

Nachtrag 08.04.25: Martin Langemann schreibt über eine sehr treffende Antwort von ChatGPT zur Frage: Wie zerstören wir den Verstand der nächsten Generation?

Nachtrag 24.04.25: Der in dieser Woche verstorbene Papst Franziskus (Gott habe ihn selig) hielt Anfang des letzten Jahres eine sehr beachtenswerte Rede zum Thema KI und menschliche Entwicklung!