Chained to the Block – Das Bitcoin-Dilemma

La Linea Bitcoinea

Der Isotope Philosoph fällt mal wieder mit der Tür ins Haus und ruft „100.000 !?!?!“ aus…

Was ist Bitcoin und warum ist es so viel wert?

Bitcoin entstand aus der Idee, direkte Transaktionen ohne eine dritte Partei abzuwickeln (peer to peer), diese sollten so sicher und schnell wie nur möglich sein. Das sogenannte Whitepaper (der Entwurf von 2009) findet sich unter diesem Artikel verlinkt.

Inzwischen hat sich seit dem Auftauchen dieser Idee der Wind ziemlich gedreht und einige frühe IT-Enthusiasten äußern harsche Kritik, teils nennt man es das „Bit-Con-System“. (Con als engl. Wort für Betrug…) Aus einem als Tauschmittel intendierten Programm ist das Gegenteil, ein Asset, ein Wertspeicher geworden. Unvergleichlich ist die Geschichte der ersten Transaktion 2010, als Laszlo Hanyecz sich Pizza im Wert von $24 für 10.000 Bitcoin kaufte. Damals glaubte man noch an die Funktion als „Geld“, nun wurde es durch die Gier und Spekulationslust an der Börse zu „Gold“. Inzwischen steht ein Bitcoin bei 100.000 US-Dollar.

Ob eine Idee wie Bitcoin so viel wert sein kann, steht zur Debatte. Denn Bitcoin ist weder ein neues Geldsystem, noch wird es den Status quo relevant verändern. Einmal klar ausgedrückt: Das herrschende Geldsystem ist bereits – man muss es leider so deutlich sagen – ein größtmögliches Betrugssystem, ein Ponzi-Schema das keinen Ausweg zulässt, zu groß sind die Abhängigkeiten und Vorteile für diejenigen, denen es nützt. Das Fiatgeld, in dem „Geld“ und sein Gegenstück „Schulden“ aus dem Nichts geschaffen werden und mit Zinsen getilgt werden müssen, ist Grundbestandteil des Kapitalismus: also der Idee, aus Geld mehr Geld machen zu müssen. In einer Gesellschaft mit Bitcoin, in der jeder darauf wartet, dass er immer mehr wert wird, werden die Menschen sparen. Und genau das wird einen großen Teil der Bevölkerung verarmen lassen, das freie Unternehmertum völlig zerstören und die Kluft zwischen Arm und Reich nur noch mehr vergrößern.

Wird Bitcoin also eine weitere Rarität für die Reichen? Man bedenke: Ein Drittel der Weltbevölkerung scheint noch ohne Strom zu leben. Hier sind völlig andere Probleme zu lösen, solche, die zunächst einmal durch einen funktionierenden Staat adressiert werden müssten.

Bitcoin ist kein Ausweg

Wenn dieser hilfreiche Staat dann zu einem übergriffigen Staat wird, sehnt man sich natürlich nach mehr Unabhängigkeit. Aber Bitcoin ist nicht anonym und frei. Die großen Handelsplätz verlangen Identitätsnachweise und die Verbindung in die breite Volkswirtschaft benötigt herkömmliche Konten.
Wird Bitcoin also zu einem modernen trojanischen Pferd umgebaut? Er wird nicht nur jeden in die digitale Welt zwingen, sondern auch das Geld so unerschwinglich machen, dass es sich niemand mehr leisten kann. Infolgedessen werden Derivate von Bitcoin als Zahlungsmittel geschaffen und das gleiche Spiel wird weitergehen.

Insofern bleibt die Frage, in wessen Boot wir uns mit der Teilnahme am Bitcoin-System setzen: Sind es noch die freiheitsliebenden,
innovativen Pioniere, die dem Staat skeptisch gegenüberstehen und selbstverantwortlich handeln wollen? Oder sind es geldgierige Mitläufer, denen sogar die Möglichkeit der staatlichen Überwachung völlig egal geworden ist. Sehen sie den goldenen Käfig nicht?

Möglicher Weise wurde dieser Käfig langsam aufgebaut, als die technischen Grundlagen immer komplexer wurden und der Kurs langsam stieg. Frei nach dem Motto: Vereinnahme, was du nicht bekämpfen kannst. Oder warum haben selbst Länder wie China oder der Iran heute große Bitcoin-Farmen?

Wir stimmen dem Fazit zu: Bitcoin wird jetzt mit Aussicht auf Wertsteigerung gehortet, das wurde einzige Rechtfertigung für dessen
Existenz. Als autonomes Zahlungssystem hat das Netzwerk versagt.

Wie die Sucht nach Geld die Grundidee korrumpierte

Wenn Gier schon eine Sünde darstellt, dann kann Geldgier als eine echte Krankheit durchgehen. Eine Ursache mag in einer tiefgreifenden Unsicherheit gegenüber der Natur und Entfremdung vom Schöpfer bestehen. Tragisch, denn sie löst einen unstillbaren Teufelskreis aus: Mehr ist nie genug, denn von Geld kann man nicht satt werden.

Schon die amerikanischen Ureinwohner sahen das Treiben der europäischen Siedler als krankhaft an und nannten dieses Phänomen Wétiko. Die Konzentration auf Reichtum und finanziellen Gewinn führt zu einem Verlust ethischer Werte und sogar kriminellem Verhalten. Über eine Rückbesinnung auf das Wesentliche am Beispiel des naturverbundenen Lebens der Indianerstämme und ihrer Weisheit können auch wir wieder zu grundlegenden Werten und einfachen Lebensweisen zurückzukehren, die im modernen, hektischen Leben verloren gingen. Das ständige Streben nach mehr Geld und materiellen Dingen haben viele Menschen von tieferen Zielen und der Suche nach innerem Frieden und Zufriedenheit abgelenkt. Höchste Zeit aus der Oberflächlichkeit wieder zurück zu einem Interesse an geistiger und emotionaler Entwicklung zu kommen!

Wie John Ruskin 1862 in Unto this Last schon sagte: „and so all living capital issues in reproduction of capital; but capital which produces nothing but capital is only root producing root; bulb issuing in bulb, never in tulip; seed issuing in seed, never in bread.“ (hier, S. 99) Bitcoin könnte sich zu einer modernen Tulpenmanie entwickeln.

Vor allem sollte Geld ein Ausdruck für das Vertrauen in eine Gemeinschaft sein und dieser Gemeinschaft dienen. Bitcoin ist immer wieder zitiert worden als Geld, das kein Vertrauen benötigt, außer vielleicht in die technische Infrastruktur. Es schwingt also von Beginn an immer schon ein Mißtrauen gegenüber der Gesellschaft mit und dies bedingt gerade die Entwicklung hin zu einem Hortungsobjekt und führt weg von einem Zahlungsmittel, das unter den Menschen fließt.

Wo bleiben die Fortschritte?

Blockchain oder weitere Entwicklungen wie GhostDAG sind in erster Linie Datenbanktechnologien, die bisherige Probleme beim gleichzeitigen Datenzugriff durch eine Vielzahl von Nutzern lösen. Die Anwendungsmöglichkeiten beschränken sich nicht nur auf Krypto-Währungen, sondern sind viel weitreichender und weitaus gefährlicher für das derzeitige Beherrschungssystem. Blockchain kann letztlich Regierungen überflüssig machen, Abstimmungen unmanipulierbar machen und Gerechtigkeit und Chancengleichheit für alle ermöglichen. Dies mag ein Grund sein, warum der monetäre Aspekt so sehr im Vordergrund steht und die weiteren Aspekte unter den Tisch fallen.

So bleiben auch die Hoffnungen vieler Systemkritiker auf der Strecke, die sich ein alternatives Zahlungsmittel jenseit eines Zugriffs durch Banken erhofft hatten. In den letzten Jahren hat sich die Praxis des Debankings inflationär verbreitet (link1, link2, link3, …). Die Bankkonten werden Journalisten und Bloggern einfach gesperrt und die Bank verweigert jedwede Zusammenarbeit. Es wird schwierig oder sogar unmöglich, ein neues Konto bei einer anderen Bank zu eröffnen, da es offenbar schwarze Listen gibt, auf denen diese Personen aufgeführt sind. Es besteht dann keine Möglichkeit mehr, irgendwelche Bankgeschäfte zu tätigen.*
Die Frage ist, was eine „politisch engagierte Person“ tut, deren Bankkonto gesperrt wurde und die kein neues Bankkonto eröffnen kann… Sie kann mit Bitcoin keine Zahlungen vornehmen, sie sitzt in einem „goldenen Käfig“ fest. Das hat mit Freiheit nichts zu tun. Im Gegenteil: Es hält gerade diejenigen in Schach, die Bitcoin einmal als Alternative für ihre Anliegen gesehen haben und dem System kritisch gegenüberstehen.

Banken sind Privatunternehmen und können mit jedem Geschäfte machen, mit wem immer sie wünschen. Banken sind aber auch Kreditgeber und somit Gläubiger der Regierungen. Diese Beziehungen machen es möglich, dass ein Bankkunde, der sich gegen einen Staat stellt, indem er dessen Strukturen und Politik kritisiert oder auch nur gegen den Staat protestiert, von der Bank als „geschäftsschädigend“ eingestuft werden kann. Ein hinreichender Grund für die Beendigung der Geschäftsbeziehung.

Regierungskritiker werden nicht vom Staat selbst zum Schweigen gebracht, sondern von Unternehmen, die ein finanzielles und machtpolitisches Interesse daran haben, dass der Staat das tut, was die Gläubigerbanken in Zusammenarbeit mit dem Privatsektor wollen. Koordiniert wird dies von oben durch den IMF und andere globale Organisationen unter dem Schlagwort „Public Private Partnership“, was letztlich nichts anderes ist als eine Form des Finanz-Faschismus, bei dem nicht der Staat das Sagen hat, sondern diejenigen mit dem größten finanziellen Hebel, also Banken und private Großkonzerne.

Wie tief reicht der politische Bitcoin-Filz?

Die unkritische Euphorie, die derzeit durch die Krypto-Welt fegt, sollte nachdenklich machen und die Alarmglocken läuten lassen. Es springen andere Länder auf den Zug auf, beginnen mit Mining und kaufen Bitcoin in der Hoffnung, ein Stück vom Kuchen abzubekommen, was den Preis weiter steigen lässt. Auch Privatanleger scheinen vor lauter Gier den Verstand verloren zu haben. Sie laufen Gefahr, als Exit Liquidity (Ausstiegsliquidität) für die „großen Fische“ zu enden…

Bitcoin wurde nicht von einem einzelnen aus dem Nichts erfunden, sondern hat eine lange Vorgeschichte der Kryptologie. Die Entwicklung kryptologischer Hashfunktionen sind und waren schon immer in der Hand des Militärs, der Regierungen und somit im Interesse der Mächtigen. Die SHA-256-Hash-Funktion, die Bitcoin in zwei zentralen Bereichen verwendet, wurde ursprünglich 2001 vom National Institute of Standards and Technology (NIST) in Zusammenarbeit mit der National Security Agency (NSA) entwickelt.
Es gibt Gerüchte, dass die NSA an der Entwicklung von Bitcoin beteiligt war und diesen proprietären Algorithmus knacken kann. 

Sollte dies der Fall sein, wären die USA mit Hilfe der NSA in der Lage, das Bitcoin-Netzwerk so zu manipulieren, dass die Verschlüsselung von Informationen auf der Blockchain und das Mining von Bitcoin nicht mehr sicher wären. Bitcoin würde schnell zu einem wertlosen Netzwerk werden und der Preis würde innerhalb von Minuten auf null sinken. Ein ideales Mittel, um ehemals reale Werte zu zerstören und die eigene Dollarwährung zu stärken.

Fun Fact zur Beobachtung empfohlen: Die oberen 0,01% der Wallets sollen 27% der Bitcoin besitzen (link1) – allerdings scheint sich dies zu ändern (link2). Im Gegensatz dazu besitzen in Europa und auch in den USA die oberen 1% ca. 30% des landesweiten Eigentums. Bitcoin ist also 100-mal zentralisierter als der US-Dollar. Beim realen Gold sieht es etwas anders aus, hier liegt in Deutschland mehr Edelmetall in Privathäusern als in Banken.

Wie die Geschichte weitergeht…

Eine Prognose ist schwer zu wagen. Selbst Gold ist seit Tausenden von Jahren immer noch ein Wertspeicher, obwohl es fast nutzlos und damit eigentlich ein psychologisches Massenphänomen darstellt.

Betrachtet man Bitcoin, wird es sicher eine ganz neue Situation darstellen, wenn Ende des Jahrzehnts der letzte „Coin“ geschürft werden wird. Dann werden vielleicht auch schon Quantencomputer auf dem Spielfeld erscheinen und die Karten ganz neu mischen…

Der Einfluß von Staaten und Wirtschaftskrisen sollte auch nicht unterschätzt werden. Man kann noch nicht sagen, wie sich dies auf die Akzeptanz auswirken wird.

Nicht zuletzt kann auch eine innovative Konkurrenz am Horizont erscheinen (um zum Beispiel den Energieverbrauch und die Geschwindigkeit zu verbessern) und das ganze Ding entgültig als Luftnummer erscheinen lassen…

Bleiben wir gespannt und schauen genau hin! Wie sagte schon Kaiser Wilhelm II. – unser letzter deutscher Kaiser und preußischer König: „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist nur eine vorübergehende Erscheinung.“

Seine Aussage zeigt eindrucksvoll, wie schwierig es ist, technologische Entwicklungen und deren langfristige Auswirkungen vorherzusagen. Genau wie das Auto das Pferd als Hauptverkehrsmittel verdrängt hat, könnten auch in der Kryptowelt unerwartete Innovationen den Markt transformieren – oder eben auch nicht. Vielleicht steht Bitcoin eher für das „Pferd“, das durch neue Technologien wie effizientere Blockchain-Lösungen oder alternative Kryptowährungen abgelöst werden könnte. Oder aber Bitcoin ist tatsächlich wie das Automobil – eine „vorübergehende Erscheinung“, die sich dauerhaft etabliert hat.

Am Ende liegt die Wahrheit oft im Wandel selbst.

Anhang:

Hier also abschließend noch das Original Whitepaper von „Satoshi Nakamoto“ bei Bitcoin.org.

Die Ideen gehen aber immer weiter – eine geniale Abwandlung hat sich Gustav Kollmeier mit seinem 3D-Geld einfallen lassen. Nicht umsonst ist er der Gewinner des Time Ship Earth Art Prize 2024!

Noch eine Abwandlung der Bitcoin-Idee findet sich in Form von Kaspa

Anmerkung

Die Collage vereint einige von Osvaldo Cavandolis Figuren des „linientreuen“ Mr. Linea. Die Figur selbst ist Teil einer unendlichen Linie, auf welcher diese entlang läuft und dabei immer wieder auf Hindernisse stößt, woraus sich skurille Situationen entwickeln. Die Filme finden sich hier: La Linea Series bei Youtube.

* Bezügich der Problematik eines Debanking hat Norbert Häring hier kurz nach Veröffentlichung dieses Blogartikels eine erfreuliche Meldung veröffentlicht!